In der Ständigen Vertretung Österreichs bei der EU in Brüssel fand eine öffentliche Podiumsdiskussion zu Menschenrechtsverletzungen bei internationalen Sportgroßereignissen statt.
Für viele war die FIFA Fußball-Weltmeisterschaft 2022 im vergangenen Jahr eines der umstrittensten Sportereignisse der Geschichte. Nach Korruptionsvorwürfen, als Katar 2010 den Zuschlag für die Ausrichtung der WM erhielt, wurde das Land heftig kritisiert, weil es Wanderarbeiter, darunter auch Hausangestellte, ausbeutet, LGBTIQ-Personen per Gesetz diskriminiert und die Redefreiheit einschränkt.
Fast sechs Monate nach dem Abpfiff fand am 31. Mai 2023 in der Ständigen Vertretung Österreichs bei der EU in Brüssel eine öffentliche Podiumsdiskussion statt, bei der das brennende Thema der Menschenrechtsverletzungen bei internationalen Sportgroßereignissen und mögliche Lösungsansätze diskutiert wurden. Ziel war es, einen Wissenstransfer sowie ein gezieltes und gemeinsames weiteres Vorgehen anzuregen.
Nikolaus Marschik, Ständiger Vertreter Österreichs bei der EU, begrüßte die mehr als 60 Teilnehmer*innen, die sich aus Vertreter*innen der Mitgliedsstaaten und der Zivilgesellschaft zusammensetzten. Der Botschafter sagte:
„Es geht darum, die Verbindung zwischen Europa, den Menschenrechten und dem Sport zu stärken. Eines der Ziele der EU ist es, den europäischen Aspekt des Sports zu fördern und Fairness und Offenheit zu betonen. Im Bereich des Sports können integrative Bemühungen einen tiefgreifenden Einfluss auf die Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung haben. Im Anschluss an das Europäische Jahr der Jugend 2022 kann dem Jugendbereich sowie den Sportveranstaltungen und -wettbewerben besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.“
Drahoslav Stefanek, Vorsitzender der Arbeitsgruppe für Menschenrechte (COHOM) des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD), bekräftigte, dass „die Menschenrechte, das Recht auf Leben, das Wertvollste sind“. Er erzählte, dass die EU-Sportminister*innen unter der Leitung Finnlands im Januar 2021 ein Schreiben an die Kommission richteten, in dem sie die EU aufforderten, „die Menschenrechte im Sport und bei großen Sportveranstaltungen innerhalb und außerhalb der EU zu fördern“.
Georg Häusler, Direktor für Kultur, Kreativität und Sport bei der Europäischen Kommission, kontextualisierte die Herausforderungen im Bereich Menschenrechte und Sport mit rückblickenden Einblicken. Er bekräftigte: „Sport zu treiben ist ein Menschenrecht, Sport und Menschenrechte sind miteinander verwoben, und in Artikel 10 der Europäischen Sportcharta wird Sport als ein grundlegendes Menschenrecht bekräftigt, es besteht also eine direkte Verbindung zwischen beiden.“
Podiumsdiskussion – Verantwortlichkeiten und Lehren aus Katar 2022
Es folgte eine lebhafte Podiumsdiskussion unter der Leitung von Kurt Wachter (VIDC-fairplay), in der das Erbe der Fußballweltmeisterschaft in Katar, die künftige Vergabe von Sportgroßveranstaltungen und die Teilnahme russischer und belarussischer Sportler*innen an den Olympischen und Paralympischen Spielen in Paris erörtert wurden.
Sylvia Schenk, Mitglied der Beratenden Kommission für Menschenrechte des IOC und ehemalige Olympionikin, war als freiwillige Helferin der FIFA für Menschenrechte bei der WM in Katar. Sie sagte:
„Als ich nach Katar reiste, hatte ich Angst, dass ich enttäuscht werden könnte. Vor allem in Deutschland hatte ich das Gefühl, dass es nur Schwarz und Weiß gibt. Seit ich mich 12 Jahre lang mit Menschenrechten beschäftigt habe und weil ich aus dem Sport komme, habe ich gelernt, dass es sich um ein sehr komplexes Thema handelt, bei dem es nie nur Schwarz und Weiß gibt.
Es gibt viele Zwischenschritte, wenn man vorankommen will, man kann nicht nur seinen Gefühlen folgen. Man kann nicht einfach irgendeinem moralischen Kompass folgen, man braucht Rechte, man braucht eine juristische Sichtweise und man braucht eine politische Sichtweise. Und man muss sehen, was der erste Schritt ist und was danach kommen könnte. Katar hat eine Menge Probleme mit den Menschenrechten, aber auch andere Länder haben Probleme.“
Alison Biscoe, Leiterin der Abteilung Partnerschaften und Programmentwicklung des Zentrums für Sport und Menschenrechte (CSHR), war 2018 an der Gründung des Zentrums in Genf beteiligt, einer Initiative, an der mehrere Interessengruppen beteiligt sind. Sie sagte:
„In den letzten fünf Jahren bestand eine der größten Veränderungen darin, dass die Menschen erkannt haben, dass Menschenrechte auch im Sport ein Thema sind, und ironischerweise hat die Fußballweltmeisterschaft in Katar dazu beigetragen.
Sylvia wies darauf hin, dass Katar bei weitem nicht die einzige Veranstaltung ist, bei der es um Menschenrechtsfragen geht. Wir haben im Zentrum versucht, einen Ökosystem-Ansatz zu entwickeln. Jeder der verschiedenen Akteur*innen, ob Regierungen, Sportverbände, Unternehmen oder wer auch immer, hat unterschiedliche Rollen und Verantwortlichkeiten. Aber es geht darum, wer im Zentrum dieses Ökosystems steht, nämlich die Menschen, die potenziell geschädigt werden. Das können Sportler*innen sein, aber auch lokale Gemeinschaften, die Gastgeber von Veranstaltungen sind, Arbeiter*innen, Journalist*innen, Fans, Funktionär*innen oder Trainer*innen – sie alle können durch den Sport geschädigt oder negativ, aber auch positiv beeinflusst werden.
Eine wichtige Entwicklung war die Aufnahme von Menschenrechten in die Bewerbungsanforderungen. Nächstes Jahr, 2024, werden wir in Paris die Olympischen Spiele und auch die UEFA EURO in Deutschland erleben, und bei beiden Veranstaltungen werden die Menschenrechte zum ersten Mal in den jeweiligen Veranstaltungen umgesetzt“.
Auf die Frage nach der Übertragung des internationalen Diskurses über Menschenrechte im Sport auf die nationale Ebene und die Frage, was nationale Sportakteur*innen tun können, um die Grundrechte zu fördern, sagte Martin Kainz, Autor des Handbuchs „Internationale Sportveranstaltungen und Menschenrechte – Ein Handbuch für die Umsetzung in Österreich“:
„In Österreich begann der Vorstoß für Menschenrechte bei Sportgroßveranstaltungen um 2013, als zivilgesellschaftliche Organisationen für die Einhaltung der Menschenrechte eintraten, insbesondere während der Fußballweltmeisterschaft 2014 und der Olympischen Spiele 2016 in Rio. Diese Ereignisse machten auf Menschenrechtsverletzungen aufmerksam und schärften das Bewusstsein für die Verantwortung der internationalen Sportorganisationen. In Zusammenarbeit mit dem österreichischen Sportministerium bildeten wir eine Arbeitsgruppe für Sport und Menschenrechte.
Ziel dieser Gruppe war es, nationale Menschenrechtsbelange anzusprechen und den Einfluss der österreichischen Sportverbände in den internationalen Verbänden zu stärken. Die Gruppe, die zunächst mit sechs großen Verbänden begann, konzentrierte sich auf die Sensibilisierung, Meinungsbildung und Unterstützung der Interessenvertretung in diesen Gremien. Die Gruppe, der mittlerweile 20 Organisationen angehören, befasst sich mit den unterschiedlichsten Themen, vom Umgang mit Athlet*innen aus Russland und Weißrussland über die Rechte der Frauen im Iran bis hin zum Einsatz für inhaftierte Sportler*innen. Darüber hinaus befasst sie sich mit nationalen Anliegen wie der Förderung der Gleichstellung der Geschlechter, dem Schutz von Kindern und umweltfreundlichen Beschaffungspraktiken“.
Kommende Mega-Sportveranstaltungen: UEFA EURO 20024 und FIFA Fußball-Weltmeisterschaft 2026
Die Diskussion drehte sich dann um die kommenden Mega-Sport-Events und was anders sein wird als in Katar 2022. Kurt Wachter fragte Sylvia Schenk nach der bevorstehenden Menschenrechtsstrategie für die UEFA EURO 2024 in Deutschland, da sie eine Schlüsselrolle bei deren Entwicklung spielte.
„Ich freue mich darauf, Ihnen mitzuteilen, was für das nächste Jahr geplant ist, obwohl wir nur schrittweise vorankommen. Wir haben 2016 eine Stakeholder-Bewegung initiiert, nachdem die Sport and Rights Alliance die UEFA beeinflusst hatte, Menschenrechtskriterien in die Bewerbungen für die EURO 2024 aufzunehmen. Auf nationaler Ebene habe ich mit der Zivilgesellschaft, den Fußballfans und Organisationen wie Human Rights Watch zusammengearbeitet und bin dabei auf die Notwendigkeit gestoßen, die Kluft zwischen dem Menschenrechtsdiskurs und der öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland zu überbrücken – eine Herausforderung, der ich mich auch heute noch stelle.“
Im Hinblick auf die Vorbereitungen für die nächste FIFA Fussball-Weltmeisterschaft 2026 erklärte Alison Biscoe (CSHR)
„Ein entscheidender Schritt ist die Verankerung der Menschenrechte bereits in der Bewerbungsphase, die eine Risikobewertung durch die Bewerberländer und die möglichen Austragungsstädte erfordert. Dieser einzigartige Ansatz führte zu individuellen Menschenrechtsplänen für jede Gastgeberstadt, die die unterschiedlichen Gesetze in den USA und Kanada berücksichtigten. Die Bewertungen zeigten Stärken und Lücken auf und gaben stadtspezifische Empfehlungen ab, die sich insbesondere auf die Rechte und das Engagement von Kindern konzentrierten – eine neuartige und proaktive Initiative für die Vorbereitung der Veranstaltung“.
In Bezug auf die zentrale Frage nach der Verantwortung für die Einhaltung der Menschenrechte bekräftigte Martin Kainz.
„Die großen internationalen Sportorganisationen tragen Verantwortung für ernste Probleme wie die Kontroversen bei der FIFA. Bei der Vergabe von Veranstaltungen auf der Grundlage der Bewerbungssumme sollten die Länder mit einer besseren Menschenrechtsbilanz bevorzugt werden. Jedes Land sollte die Chance haben, sich zu bewerben, aber der Schwerpunkt muss auf Nationen liegen, die sich bereits durch eine hervorragende Menschenrechtslage auszeichnen. Künftige Veranstaltungen in Ländern mit erheblichen Menschenrechtsproblemen wie Saudi-Arabien werfen jedoch die Frage auf, wie sie mit Themen wie der Ausbeutung von Arbeiter*innen oder der Gleichberechtigung der Geschlechter beim Sporttreiben umgehen werden. Der Trend, Veranstaltungen an reiche Bieter*innen zu vergeben, ohne Rücksicht auf die Menschenrechtslage, muss dringend überdacht werden“.
Autonomie des Sports und Kontroverse um russische und weißrussische Sportler*innen
Nach den Beiträgen auf dem Podium wurde die Diskussion für das Publikum geöffnet. Sofort wurden Fragen zur Autonomie der Sportbewegung gegenüber den Regierungen und die Frage aufgeworfen, ob russische und weißrussische Sportler*innen an den Olympischen und Paralympischen Spielen in Paris 2024 teilnehmen sollten.
Sylvia Schenk, die 1972 für die Bundesrepublik Deutschland an den Olympischen Spielen in München teilnahm, betonte die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit und der Einbeziehung aller Beteiligten. In Anbetracht der geopolitischen Komplexität wies sie auf die Herausforderung für das IOC hin, unterschiedliche Meinungen über die Teilnahme russischer und weißrussischer Athlet*innen auszutarieren. Unter Bezugnahme auf historische Debatten über den Olympia-Boykott, namentlich Moskau 1980, warnte Sylvia Schenk vor Einmischung von außen und sprach sich für die Rolle des Sports bei der Stärkung der Zivilgesellschaft aus. Sie sprach sich gegen eine staatliche Einflussnahme auf internationale Sportereignisse aus und betonte die Notwendigkeit, Situationen sich natürlich entwickeln zu lassen.
In einer kritischen Stellungnahme zur Teilnahme russischer und weißrussischer Athlet*innen an Paris 2024 äußerte Martin Kainz Zweifel an der Klarheit der Sportautonomie. Er räumte zwar deren Vorteile ein, betonte aber, dass die Sportautonomie mit den Menschenrechten in Einklang stehen müsse. Kainz argumentierte, dass Staaten und EU-Mitglieder bei Menschenrechtsverletzungen verpflichtet seien, einzugreifen, und betonte, dass sowohl nationale als auch internationale Organisationen die Menschenrechte achten und schützen müssten. Er wies auf die Komplexität hin, insbesondere im Zusammenhang mit den Aktionen Russlands, die darauf hindeuten, dass die Rechte von Sportlern durch die Einschränkung ihrer Teilnahme verletzt werden könnten. Kainz erwähnte die jüngsten Vorschläge, bestimmte Athlet*innen, die den Krieg nicht aktiv unterstützen oder vom Militär unter Vertrag genommen werden, bei den Olympischen Spielen zuzulassen – nicht aber die russische Flagge.
Alison Biscoe stellt auch die Autonomie des Sports bei Menschenrechtsverletzungen in Frage, sagte sie:
„Autonomie entbindet nicht von der Rechenschaftspflicht, insbesondere im Zusammenhang mit den Menschenrechten. Das Grundprinzip lautet ‚keinen Schaden anrichten‘, was die Entscheidungen über russische und belarussische Sportler*innen kompliziert macht. Anforderungen wie die Ablehnung des Krieges können die Athlet*innen dem Druck des Regimes aussetzen. Der Schlüssel für das IOC und die internationalen Verbände sollte darin bestehen, sicherzustellen, dass den russischen, ukrainischen oder anderen Athlet*innen durch die von ihnen verfolgte Politik kein Schaden zugefügt wird. Und es geht nicht nur darum, dass sich Regierungen einmischen; zu einer echten Rechenschaftspflicht gehört es, diese Komplexität zu bewältigen“.
Zusammenfassung: Wie kann die Agenda für Sport und Menschenrechte vorangebracht werden?
Bei der öffentlichen Veranstaltung in Brüssel kamen mehr als 60 öffentliche und zivilgesellschaftliche Akteure sowie Vertreter*innen der EU-Mitgliedstaaten zusammen, um sich über die Förderung der Menschenrechte im Zusammenhang mit großen Sportereignissen auszutauschen, bewährte Verfahren zu ermitteln und mögliche nächste Schritte nach der umstrittenen FIFA-Weltmeisterschaft in Katar ins Auge zu fassen.
Die Podiumsdiskussion selbst war geprägt von den hochkarätigen Podiumsteilnehmern und ihren unterschiedlichen Perspektiven. Sie beleuchtete verschiedene Menschenrechtsaspekte, wobei der Schwerpunkt auf der Erörterung der Verantwortung der verschiedenen institutionellen Akteur*innen für die Schaffung von Regelungen und Rahmenbedingungen lag, die die Überwachung und Durchsetzung der Menschenrechte fördern, sowie auf der Erkundung möglicher Wege zur nachhaltigen und menschenrechtsorientierten Gestaltung von Sportveranstaltungen. So trug die Veranstaltung dazu bei, das Bewusstsein für Menschenrechtsfragen im Zusammenhang mit internationalen Sportveranstaltungen zu schärfen und mögliche Lösungen unter den politischen Akteuren zu diskutieren.
„Bei Diskussionen zum komplexen Thema Menschenrechte lerne ich immer wieder dazu, und der internationale Austausch in der Ständigen Vertretung Österreichs war sehr spannend“, reflektiert Sylvia Schenk die Veranstaltung.
Organisiert wurde die Veranstaltung von der fairplay Initiative am Wiener Institut für Internationalen Dialog und Zusammenarbeit (VIDC) im Rahmen des Projekts Unser Spiel für Menschenrechte mit Unterstützung der Austrian Development Agency (ADA) und des österreichischen Sportministeriums (BMKÖS), das durch den Abteilungsleiter Dieter Brosz vertreten war.
Besonderer Dank gebührt der Ständigen Vertretung Österreichs bei der EU, insbesondere Botschafter Nikolaus Marschik, Felix Hauer und Kimberley Baeyens, die als Gastgeber*innen der Veranstaltung fungierten und unverzichtbare Unterstützung leisteten.